Wem gehört das Wissen? Digitalisierung stellt Urheberrecht vor neue Herausforderungen

Kommentar

Die kulturellen Wurzeln immaterieller Eigentumsrechte liegen in Europa. Gegenwärtig ist eine verstärkte internationale Homogenisierung des Immaterialrechts zu beobachten. Zugleich steigt der gesellschaftliche Stellenwert des Urheber*innenrechts. Der politische Ausgleich zwischen wirtschaftlichen Interessen und dem Wunsch der Allgemeinheit nach freiem Zugang zu Wissen wird heute auch unter den Gesichtspunkten der Verteilungsgerechtigkeit, der Informations- und Meinungsfreiheit beurteilt.

Creative Commons Lizenz
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Die „Creative Commons Lizenz“, erlaubt es Urheber*innen, auf einzeln zu definierende Rechte zu verzichten, um die Vervielfältigung oder Weiterbearbeitung ihrer Werke zu ermöglichen.

Digitalisierung stellt Urheber*innenrecht vor neue Herausforderungen

Seit Beginn des digitalen Zeitalters wird heftig über Urheber*innnenrechtsschutz und die öffentliche Verfügbarkeit von Wissen diskutiert. Den aktuellen Debatten ist eine lange und kontroversenreiche Geschichte vorausgegangen. Die Entwicklung immaterieller Eigentumsrechte verlief dabei keineswegs gradlinig. Die Entstehung der Schutzrechte war weder zwangsläufig, noch folgten sie einer inneren Logik von Sachzwängen, wie ein international vergleichender Rückblick zeigt.

Die Entwicklung und Durchsetzung von geistigen Schutzrechten war ursprünglich ein europäischer oder doch zumindest ein westlich geprägter Prozess. In islamischen Gesellschaften etwa findet sich keine vergleichbare Tradition des immateriellen Eigentums. Bis heute erweist sich die Durchsetzung geistiger Eigentumsregelungen in vielen Ländern außerhalb der OECD-Welt als äußerst schwierig. Aber auch in Europa gab es beginnend mit den Gewerbemonopolen für Drucker*innen seit dem frühen 16. Jahrhundert Varianten in der Ausgestaltung und Begründung der Eigentumsrechte. Dies zeigt: Eigentumsrechte sind veränderbar, und die Regulierung von Wissen ist politisch gestaltbar.

Kein Urheber*innenrecht in vormoderner Zeit

Im Mittelalter spielte die Kirche eine bestimmende Rolle in der Regulierung von Wissen. Die meisten Schriftgelehrten verstanden sich nicht als Autor*innen im heutigen Sinne, sondern eher als Mittler*innen oder Interpret*innen, durch die Gott zu den Gläubigen sprach. Noch im 18. Jahrhundert fand sich die Vorstellung, dass die Quellen aller Erkenntnis in der Vergangenheit liegen und die Gewinnung von Wissen daher ein Wiederaneignungsprozess ist. Der idealtypische Text war die Predigt, deren Qualität sich durch möglichst perfekte Nachahmung der antiken Formsprache auszeichnete. Die moderne Figur des Urhebers oder der Urheberin, der oder die neue Werke mit Hilfe des eigenen Verstandes hervorbringt, war in den Kategorien vor moderner Wissensordnungen nicht denkbar. Gemeinsam ist diesen frühen Formen der Verfügungsrechte über Wissen eine auffällige Gleichgültigkeit gegenüber den eigentlichen Schöpfungsleistungen. Honoriert wurde nicht in erster Linie individuelle Kreativität, sondern die erwünschte regionale Wertschöpfung oder auch politisches Wohlverhalten. In der ständischen Gesellschaft erhielt nicht der oder die Verfasser*innen eines Buches das Verwertungsrecht, sondern die Drucker*in, die die Werke zuvor dem staatlichen oder kirchlichen Zensor vorlegte. Der heute so geläufige und rechtlich sehr bedeutsame Unterschied zwischen der Erfindung und der Nachahmung, der Idee und ihrer Kopie, spielte in der Wissensordnung der frühen Neuzeit kaum eine Rolle.

Die Ursprünge des Urheber*innenrechts

Als konzeptionelle Geburtsstunde der individuellen Urheber*innen gilt ein englisches Gesetz aus dem Jahr 1710, das „Statute of Anne“. Dieses erkannte erstmals an, dass auch Autor*innen ein Recht an ihren Werken haben sollten. Ende des 18. Jahrhunderts setzte sich die Vorstellung eines Naturrechts am eigenen Werk auch in Frankreich (1791) und einige Jahre später in Preußen (1837) durch. Im Unterschied zu positivem Recht wie etwa die „Copyright“-Regelung der amerikanischen Verfassung beruht das Naturrecht auf der Vorstellung, dass Menschen von Natur aus über unveräußerliche, gesellschaftlichen Normen übergeordnete Rechte verfügen. Die ideelle Grundlage für die Übertragung des Privateigentums auf die stofflose Welt der Gedichte, Melodien und Bilder war die Überzeugung, dass sich kreative Leistungen individuell zuschreiben lassen.

Die Verrechtlichung kultureller Produkte und Leistungen vollzog sich zunächst im nationalen Rahmen. Folglich endeten die Schutzrechte der Autoren*innen und Verleger*innen an den staatlichen Grenzen. Eine erste zwischenstaatliche Anerkennung von Urheber*innenrechten ermöglichten die in den 1880er Jahren verabschiedeten Pariser und Berner Konventionen. Allerdings ratifizierten und implementierten nur zehn europäische Länder diese Regelungen. Die Vereinigten Staaten, heute eine der treibenden Kräfte im Prozess der Etablierung eines global einheitlichen Schutzniveaus, traten der Berner Konvention erst 1988 bei.

Kopieren und kostenfreie Vervielfältigung

Trotz der internationalen Vereinbarungen hat es immer nationale Gestaltungsspielräume gegeben. Ein bekanntes Beispiel aus dem deutschen Urheber*innenrecht ist die 1965 eingeführte Pauschalvergütung. Die Pauschalabgabe war eine Reaktion auf die Verbreitung von Tonbandgeräten und Kassettenrecordern, die es Musikliebhaber*innen erstmals erlaubten, eigenhändig Kopien von Musikstücken anzufertigen. Da der Gesetzgeber den Künstler*innen einen Anspruch auf Vergütung grundsätzlich zuerkannte, das private Kopieren sich jedoch weder verbieten noch kontrollieren ließ, führte er eine neue Form der Abgabe ein. Diese wird beim Kauf von Kopiergeräten und Trägermedien erhoben und kommt, verteilt über die zuständigen Verwertungsgesellschaften, den Urheber*innen direkt zugute. Diese von weiteren Ländern übernommene Regelung schuf einen bemerkenswert liberalen Rahmen für die „erlaubnisfreie“ Nutzung von Wissen. Das deutsche Urheber*innenrecht erkennt seitdem das individuelle Vervielfältigen und Archivieren von Werken als legitim an, etwa im Bereich der Bildung oder für private Zwecke. Alltäglich gewordene Nutzungsformen von Kulturgütern wie das Kopieren von Artikeln oder die Anfertigung von „Best-of“-Kassetten wurden so mit dem Gebot der Vergütung der Urheber*innen rechtlich in Einklang gebracht. Bestimmende politische Grundsätze waren hierbei der gerechte Ausgleich zwischen den Interessen der Öffentlichkeit am Zugang zu Wissen und dem Interesse der Urheber*innen an einer Vergütung, aber auch der Schutz der Privatsphäre. Die Pauschalabgabe sollte verhindern, dass der Staat die Wohnzimmer kontrolliert, um illegales Kopieren zu verhindern. Rückblickend lässt sich feststellen, dass die Pauschalvergütung wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Bürger*innen bis zur Digitalisierung der Medien kaum an die Grenzen des gesetzlich Zulässigen stießen. Auch deshalb führte das Urheber*innenrecht in Deutschland lange Zeit ein Schattendasein und wurde bis vor wenigen Jahren von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Die Digitalisierung und der unbekannte Verbreitungsradius

Während früher das Vervielfältigen kapitalintensiv und daher Verlagen vorbehalten war, hat die Digitalisierung das Kopieren von Daten faktisch zu einer alltäglichen und nahezu kostenlosen Routinehandlung werden lassen. Entsprechend kommen heute nicht nur viel mehr Menschen mit dem Urheber*innenrecht in Berührung, das Urheber*innenrecht reguliert bzw. verrechtlicht auch ein weitaus größeres Spektrum von Handlungen als zuvor.

Die in der analogen Welt der Tonbänder und Kassetten bereits übliche Herstellung und Weitergabe privater Kopien hat durch das Internet einen neuen Stellenwert gewonnen: Von digitalen Werken lassen sich beliebig viele Kopien ohne Qualitätsverlust herstellen, und das Internet ermöglicht einen bisher unbekannten Verbreitungsradius. Theoretisch ist heute ein Werkexemplar ausreichend, um alle Internetnutzer*innen mit einer Kopie zu versorgen. Die Digitalisierung ermöglicht darüber hinaus eine Umverteilung der Rollen in der Herstellung, Verbreitung und Nutzung von Informationsgütern. Deutlich wird dies etwa am Beispiel der elektronischen Musik. Die neuen Techniken des „Sampling“, das Herauslösen, Verändern und Weiterverwenden einzelner Sequenzen eines Stücks, oder des „DJing“ unterlaufen die traditionellen und urheber*innenrechtlich wichtigen Unterscheidungen zwischen Komposition, Interpretation und Aufführung einerseits sowie zwischen Künstler*innen und Hörenden andererseits. Der oder die DJ* verwandelt bzw. mischt Musikstücke in neue, unter Umständen abendfüllende Klangfolgen und avanciert auf diese Weise selbst zum Künstler oder zur Künstlerin.

Ein anderes Beispiel für neue Rollenverteilungen findet sich im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens. Das Internet ermöglicht das Veröffentlichen akademischer Arbeiten in Ergänzung oder auch alternativ zu herkömmlichen Verlagsprodukten. Zusätzlich entstehen neue, untereinander vernetzte oder kollaborativ erzeugte Informationsformate, deren Angebot über den Rahmen von Printmedien hinausgeht. In gewissem Umfang können sich Wissenschaftler*innen im Internet somit selbst als Verlegende oder Archivar*innen betätigen.

Die Krise des Urheber*innenrechts

Die Digitalisierung und Vernetzung von Informationsgütern stellen herkömmliche Geschäftsmodelle und rechtliche Regelungen gleichermaßen in Frage. Manche Jurist*innen sprechen inzwischen gar von einer Krise des Urheber*innenrechts. Gleichwohl steigen mit dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutungszuwachs von Informationsgütern die Anforderungen an die rechtliche Regelungskapazität. Die Informationswirtschaft reagierte auf diese Entwicklung mit der Einführung von Technologien, die das Kopieren verhindern oder eine Nutzungskontrolle digitaler Werke durch die Hersteller*innen ermöglichen sollen. Die neuen Technologien der Rechteverwaltung erlauben es darüber hinaus, Nutzungslizenzen statt wie bisher bei physischen Gütern Werkexemplare zu verkaufen. Lizenzen lassen sich flexibler gestalten. Nutzungsrechte können etwa zeitlich befristet oder auf bestimmte Nutzungstypen wie lesen oder abspielen beschränkt werden. Kritiker*innen bezeichnen diese Entwicklung als Paradoxon, da die Verleger*innen, deren Geschäft es doch eigentlich sei, Informationen zugänglich zu machen, nun Zugang und Nutzung begrenzen müssen, um ihr Geschäftsmodell zu schützen.

Ein international einheitliches Schutzniveau

Die Regierungen wiederum haben international koordinierte Maßnahmen zur Reform von geistigen Eigentumsrechten eingeleitet. Internationale Abkommen wie der „WIPO Copyright Treaty“ der World Intellectual Property Organization und die „Convention on Biological Diversity“ (CBD), beide auf Ebene der Vereinten Nationen angesiedelt, oder der Vertrag über „Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights“ (TRIPS) der Welthandelsorganisation zielen auf ein möglichst weltweit einheitliches Schutzniveau für geistiges Eigentum. Digitale Produkte bilden lediglich ein Element in dem international expandierenden Anwendungsbereich von Schutzrechten. Seit den 1980er Jahren fällt darunter auch lebende Materie wie Gene, gentechnisch veränderte Mikroorganismen oder Pflanzen.

Die zum Teil sanktionsbewehrte internationale Regulierung engt die nationalen Handlungsspielräume in der Gestaltung von Schutzrechten inzwischen stark ein. Dies gilt etwa für pharmazeutische Produkte, die in vielen Entwicklungsländern bis zur Einführung von TRIPS von einer Patentierung ausgeschlossen waren. Heute müssen alle Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation mit Klagen rechnen, wenn sie gegen die Bestimmungen von TRIPS verstoßen. Eine zentrale Rolle in der Durchsetzung eines hohen und weltweit einheitlichen Schutzniveaus für Informationsgüter spielen die pharmazeutische Industrie, große Softwarehersteller sowie Musik- und Filmverlage, bei denen exklusive Nutzungsrechte einen wichtigen Bestandteil der Wertschöpfungsstrategie bilden. Diese Branchen konzentrieren sich auf wenige OECD-Länder. Eine Anhebung und internationale Angleichung des Schutzniveaus bewirken daher eine Umverteilung zulasten der Entwicklungsländer.

Urheber*innenrecht als Grundrecht

Die Neuregelungen beim Schutz geistigen Eigentums lösen seit einigen Jahren kontroverse Diskussionen in der Öffentlichkeit aus. So erweist sich etwa die Ausdehnung des europäischen Patentrechts auf Software als politisch äußerst schwierig. Auch die Anpassung des Urheber*innenrechts an die digitale Entwicklung ist politisch umstritten, da bislang bestehende Ausnahmeregelungen wie das erlaubnisfreie Kopieren für Bildungszwecke oder den privaten Gebrauch erheblich eingeschränkt werden. Die verschiedenen gesellschaftlichen Reaktionen auf die Reformen geben zu erkennen, dass immaterielle Eigentumsrechte heute in einem umfassenderen, über die konkreten Zielsetzungen einzelner Gesetze hinausreichenden gesellschaftlichen Kontext beurteilt werden. Die Bewertung geistiger Eigentumsrechte orientiert sich an den vermuteten langfristigen Auswirkungen auf die Zugänglichkeit, Nutzung und Weiterentwicklung von Wissen. Dies betrifft neben den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Technikentwicklung und Gesundheitsversorgung auch die öffentliche Informationsversorgung, das Kulturangebot oder die Entwicklungszusammenarbeit.

Die politische Gestaltung des Interessenausgleichs zwischen Produzent*innen, Verleger*innen und Nutzenden wird folglich nicht mehr allein als fachpolitisches Problem wahrgenommen, sondern auf seine Konsequenzen für verbürgte Grundrechte wie Meinungs- und Informationsfreiheit, die informationelle Selbstbestimmung, aber auch auf verteilungs- und wirtschaftspolitische Effekte geprüft. Immateriellen Eigentumsrechten werden heute somit wirtschaftliche wie auch wohlfahrtstaatliche Eigenschaften zugeschrieben. Der amerikanische Jurist James Boyle hat das geistige Eigentum als Rechtsform des Informationszeitalters bezeichnet, dessen Verteilung den Schlüssel zu Wohlstand, Macht und Zugangsmöglichkeiten in der Informationsgesellschaft bildet.

Creative Commons Lizenz

Vor diesem Hintergrund ist die Entstehung einer Reihe neuer Lizenzmodelle zu sehen, die darauf zielen, die Zugangs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten von Informationsgütern zu erleichtern, indem die exklusiven Rechte, die das Immaterialrecht der Autor*in bzw. ihren Rechteinhaber*innen einräumt, enger gefasst werden. Die Urheber*innen verzichten demnach auf Rechte, die ihnen das Urheber*innenrecht zugesteht. Eines der ältesten Beispiele dafür ist die „General Public License“ (GPL), die Mitte der 1980er Jahre entwickelt wurde, um der Entwicklung frei verfügbarer, nicht kommerzieller Software (Open Source) eine rechtliche Grundlage zu verschaffen. Ein neueres und inzwischen international bekanntes Beispiel ist die 2002 veröffentlichte „Creative Commons Lizenz“, die auf Kulturgüter wie Musik, Bilder, Film oder Texte zielt. Sie erlaubt es Urheber*innen, auf einzeln zu definierende Rechte zu verzichten, um die Vervielfältigung oder Weiterbearbeitung ihrer Werke zu ermöglichen. Ein Ziel dieser neuen Lizenzfamilien ist es, innovative Geschäftsmodelle zu fördern, deren Erfolg nicht auf der Exklusivität von Nutzungsrechten beruht.


Weiterführende Literatur:

Jeanette Hofmann (Hg.), Wissen und Eigentum – Geschichte, Recht und Ökonomie stoffloser Güter, Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung 2006, 354 S.
James Boyle, „Eine Politik des geistigen Eigentums: Umweltschutz für das Internet?“, in:  Jeanette Hofmann (Hg.), Wissen und Eigentum – Geschichte, Recht und Ökonomie stoffloser Güter, Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung 2006, S. 21–38
Yochai Benkler, The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom, New Haven: Yale University Press 2006, 512 S.
Lawrence Lessig, Code v2, New York: Basic Books 2006, 416 S.
Volker Grassmuck, Freie Software. Zwischen Privat- und Gemeineigentum, Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung 2002, 440 S.